Normalerweise erhalte ich Einladungen zu Presse- und Bloggerreisen über PR-Agenturen, die für ihre jeweiligen Kunden Ausschau nach passenden Teilnehmern halten. Daher überrascht mich im allerersten Moment der Absender dieses – eher ungewöhnlichen – Einladungsschreibens nach Serbien. Das Schreiben stammt von der GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die im Auftrag der deutschen Bundesregierung „Entwicklungshilfe“ im Ausland leistet. Lest hier den zweiten Teil meiner Reisegeschichte „Zwischen innovativen Startups und aphrodisierendem Käse: Mit der GIZ unterwegs in Serbien.“
Branislava, Jahrgang 1987, lerne ich im modernen Coworking- und Event-Space „Impact Hub“ im Zentrum Belgrads kennen. Hier trifft sich Belgrads Startup-Szene – und für die kommenden Tage auch wir, die zwanzig deutschen und serbischen Blogger, die im Auftrag der GIZ gemeinsam Serbien erkunden werden.
Während auf einer Fläche im ersten Stock morgendliches Yoga praktiziert wird, sitzen drei Jungunternehmer im Erdgeschoss bereits konzentriert über ihren aufgeklappten Mac-Books und feilen an ihrem Businessplan. Die Atmosphäre ist locker-konzentriert, im Hintergrund röchelt eine Kaffeemaschine und eine Angestellte platziert eine motivierende Lebensweisheit als „Spruch des Tages“ direkt neben das Wlan-Passwort auf einem der Flipcharts.
Branislava hat sich in Serbien als Journalistin und Bloggerin in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Neben ihrem Mode-Lifestyle Blog Branasdivineworld posiert sie als erfolgreiche Karrierefrau und Fashionista auf den Titelseiten serbischer Hochglanz-Magazine. Sie schreibt als freie Journalistin für diverse Online- und Printmagazine und hat es image-technisch zu einer serbischen „Carrie Bradshaw“ gebracht. Ab dem ersten Augenblick imponiert sie mir mit ihrer selbstbewussten und hochprofessionellen Art. Sie hat ihre Leidenschaft, das Schreiben, zu ihrem Beruf gemacht und kann von ihren Einnahmen als Bloggerin und Influencerin mittlerweile gut in Serbiens Hauptstadt Belgrad leben. Sie ist eine der gut ausgebildeten und jungen Talente und eine der wenigen Young Professionals, die in den vergangenen Jahren ihrer Heimat Serbien nicht den Rücken gekehrt haben.
Die postsozialistischen Balkanstaaten ächzen unter dem Druck des globalen Wettbewerbs
Wirtschaftliche Schwäche und Vetternwirtschaft, niedrige Gehälter, eine hohe (Jugend-) Arbeitslosigkeit, geringe Innovation sowie ein starrer Arbeitsmarkt (die meisten Serben träumen von einer Anstellung in der öffentlichen Verwaltung oder in Staatsunternehmen) sind nur einige der Gründe, warum viele junge und gut ausgebildete Menschen ihre Heimat verlassen und ihr Glück im Ausland suchen. Von 10,5 Millionen Serben, leben und arbeiten heute über ein Drittel im Ausland. Speziell Europa wirkt wie ein Magnet auf viele Jugendliche, die in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen. Ein möglicher EU-Beitritt, und somit der grenzenlose Austausch von Wissen, Waren und Personen, macht die Situation für ein Land wie Serbien nicht gerade einfacher. Auch aus diesem Grund ist die deutsche GIZ in Serbien vor Ort – um mittels gezielter Projekte den Braindrain zu stoppen und der Jugend berufliche Perspektiven vor Ort aufzuzeigen.
Rund 300 Kilometer vom hippen Coworking-Space entfernt, liegt die Gemeinde Svrljig
Während andere Blogger die Startup-Szene Belgrads erkunden, einen Bio-Bauernhof oder eine Lederfabrik besuchen und die Donau per Boot und Fahrrad auskundschaften, habe ich mich für ein Food-Thema im Hinterland entschieden. Die Region Svrljig ist eine der Hauptanbaugebiete für medizinische Kräuter in Serbien und Heimat des berühmten (und aphrodisierenden) Belmuž-Käses. Jedes Jahr im August findet hier diesem Gericht zu Ehren ein großes Festival statt (Wahl der schönsten Schäferin, Kunsthandwerker, Hirtenspiele und ein vielseitiges Programm rund um Essen und Kultur inklusive).
Ich hatte mich insgeheim auf diese Exkursion gefreut – mal raus aus der Großstadt Belgrad und das ländliche Hinterland erkunden. Doch nach drei Stunden Autobahnfahrt bin ich leicht ernüchtert. Neben Ackerland, Wiesen, vereinzelten Wäldern und windschief konstruierten Holzhäuschen, habe ich nichts gesehen. Kurz vor dem Ziel müssen wir umsteigen. Das letzte Wegstück, eine Offroad-Piste mit tiefen Schlaglöchern, können wir nur in einem robusten Lada bewältigen.
Vereinzelt sehe ich alte Menschen in teils schmerzlich-gebückter Haltung bei der Feldarbeit. Weit und breit ist keine moderne Maschine oder ein junger Mensch in Sicht, der zur Hand gehen könnte, geschweige denn eine Bushaltestelle oder eine andere Art örtlicher Infrastruktur. Dann, ohne erkennbaren Grund, halten wir mitten in der Landschaft. Endstation.
Hier, inmitten des Nichts, ist die Heimat von Nenad. Der junge Mann, ich schätze ihn Anfang zwanzig, lebt im Örtchen Plužina mit seinen Eltern. Die Mutter sammelt im Auftrag einer Firma medizinische Kräuter (auf einer kleinen Wanderung zeigt sie uns wilden Thymian, Brombeerblätter, Schafgarbe, wilde Erdbeeren, ein Kraut mit dem lustigen Namen „Vampirkiller“, Schachtelhalm, wilden Holunder, Löwenzahn, St. Paul’s Kraut und einige mehr), der Vater erntet Pilze, züchtet Tauben und Schafe und nimmt jährlich am besagten Käse-Festival teil.
Die Nachbarn (auch sie lerne ich an diesem Nachmittag kennen) haben einen kleinen Familienbetrieb für hausgemachte Marmelade aufgebaut und sind ebenfalls in der Schafzucht tätig. Nenad steht etwas hilflos in der Gegend herum. Er studiert gerade an einer Landwirtschaftlichen Schule und träumt insgeheim davon, seiner russischen Freundin nach Schweden zu folgen. Denn hier in Serbien sieht er für sich keine Zukunft.
Zwei Menschen ähnlichen Alters, nur 300 Kilometer voneinander entfernt – doch die Unterschiede könnten nicht größer sein
Branislava und Nenad stehen sinnbildlich für die junge Generation Serbiens. Branislava erlebt momentan im hippen Belgrad eine elektrisierende Aufbruchsstimmung – Young Professionals überlegen zum ersten Mal selbst zu gründen, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, nicht fortzugehen oder eine sichere Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Sie sind gut ausgebildet, glauben an sich und ihre Fähigkeiten und an ihr Land, in dem sie es zu etwas bringen wollen.
Nenad sieht sich und seine Zukunft dagegen im Ausland. Er spürt nicht die Aufbruchsstimmung der 300 Kilometer entfernten Hauptstadt und sieht nicht das Potential vor Ort: Ich koste an diesem Tag die schmackhaftesten Marmeladensorten, rühre Belmuž-Käse, probiere Kräuter, frischgebackenes Maisbrot, genieße zartes Lammfleisch und erlebe die herzliche Gastfreundschaft, die uns mitten auf diesem Feld geboten wird.
Als studierte Tourismuswissenschaftlerin bin ich begeistert von den authentischen Stunden, die ich vor Ort erleben darf und die sicher auch rege Nachfrage bei anderen Serbien-Reisenden entfachen würden – vorausgesetzt dieses Angebot würde offiziell Touristen zur Verfügung stehen. Die hausgemachten Marmeladen, die es leicht mit deutschen Feinkostprodukten aufnehmen können, werden für einen irrwitzig geringen Preis feilgeboten.
Später an diesem Tag besuche ich noch Plantamell, eine Firma, deren 250 Mitarbeiter aus den Kräutern der Region medizinische Tinkturen, Tees, Essenzen und Öle von Hand herstellen. Die Personalkosten sind gering, die Fläschchen werden von Hand (!) mit Etiketten beklebt, die Tinkturen werden einzeln von Hand in die Behälter gefüllt und die Paletten von Hand mit den fertigen Präparaten bestückt. Wir sprechen bei uns in Europa von Industrie 4.0 und künstlicher Intelligenz im Hightech-Bereich. Was passiert mit allein diesen 250 Mitarbeitern von Plantamell, sollten eines Tages simple Standardmaschinen diese menschliche Arbeitskraft günstig ersetzen?
Auf unserer Rückfahrt nach Belgrad gehen mir viele Gedanken durch den Kopf
Was würde ich an Nenads Stelle machen? Würde ich nicht auch das Weite suchen, die serbische Pampa hinter mir lassen und in einer modernen europäischen Metropole mein Glück versuchen? Oder ist es von ihm schlichtweg naiv, zu glauben, dass ein Leben in Europa einfacher wäre und er durch die bloße Illusion eines dort besseren Lebens, wertvolle Jahre und Chancen hier in Serbien verpassen würde?
Auch wenn ich auf all diese Fragen keine für mich befriedigende Antwort finde, sehe ich nach meiner Exkursion ins Hinterland die Arbeit der deutschen GIZ sowie meine Einladung als Bloggerin nach Serbien mit anderen Augen. Die Projekte vor Ort mögen mir als Außenstehenden teils bürokratisch erscheinen und teilweise, in der jeweiligen Ausführung und Umsetzung, mit meiner deutschen Erwartungshaltung kollidieren. Dennoch stehen die Projekte, jedes für sich, für eine der vielen kleinen und großen Erfolgsgeschichten der aufkeimenden Unternehmerlandschaft Serbiens. Menschen wie Bloggerin Branislava, die stets an sich und ihr Land geglaubt und für ihren heutigen Erfolg in Serbien hart gearbeitet haben, sind wichtige Hoffnungsträger für die kommenden Generationen und daher ein schöner und wichtiger Grund, darüber zu schreiben.
Svrljig gehört zu einer der sieben Pilotgemeinden, in denen die GIZ in Kooperation mit dem serbischen Landwirtschaftsministerium nachhaltiges Landmanagement durchführt (Zusammenlegung von einzelnen Parzellen, Bau neuer Infrastruktur, Lösung von Eigentumskonflikten, Erarbeitung eines aktualisierten Bodenkatasters für die einzelnen Gemeinden). Zum dreitägigen Belmuž-Käse Festival am ersten Augustwochenende besuchen jährlich über 100.000 Menschen die Region. Mehr über die Arbeit der GIZ in Serbien findet ihr hier online. Die Reise fand in Kooperation mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit statt. Der Artikel gibt die Meinung der Autorin wieder.